Einführung von Dr. Dieter Gembicki, Genf Betrachtung
zum Schaffen von Friedrich Julius Scherff |
|
Das zeichnerische und malerische Werk des Malers Friedrich Julius Scherff
lebt aus der Gestik, genauer gesagt, es drängt zum Ausdruck. Das mag denjenigen
kaum verwundern, der weiß, dass es in seinem früheren Werk einige
expressionistische Bilder gibt. Dieses Charakteristikum, ‘Ausdrucksmalerei‘ zu
sein, ist schließlich eine Konstante in der Entwicklung der Deutschen Kunst,
denn die barocke Spätgotik spiegelt sich in der Romantik, so wie der
Expressionismus frühere Tendenzen aufnimmt und seinerseits die Nachkriegskunst
befruchtet. Es genügt, an den Tachismus und die „Neuen Wilden“ zu erinnern.
Dennoch bedeutet diese Feststellung weder klassifizieren noch
schubladisieren. Ein Kunstwerk triumphiert noch immer über seinen Begriff, sei
er auch noch so ideal oder glücklich getroffen. Diese Malerei der expressiven
Geste, wenn wir sie einmal so bezeichnen wollen, ist schon deshalb mehr als
eine modische Attitüde, weil sie schon sehr lange in diesem Werk angelegt ist.
Man muss deshalb sehr lange sagen, weil es in unserer schnelllebigen und
konsumorientierten Zeit eine Ausnahme ist, wenn ein Künstler für die Dauer
einer Generation mit den gleichen Formproblemen ringt. Vergleichbar den Jahresringen
eines (gesunden) Baumes ist hier eine Sicherheit des Duktus erworben, der am
ehesten mit der chinesischen Kalligraphie, einer hohen Kunst bis heute,
verglichen werden kann.
Ein Vergleich der Werke zeigt uns die Beharrlichkeit, mit der künstlerisches
Wollen um die Frage kreist, welche Technik die innere Bildvorstellung zu
realisieren gestattet. Diese Suche schließt z.B. die Illustration von
literarischen, mythologischen und anderen Themen aus. Umgekehrt bedrängen den
Künstler die Gestaltungsprobleme: das Verhältnis von innen und außen, die
Beziehung einer Figur zum Raum. Ob es sich um Vegetabiles oder Chiffren
handelt, jedesmal geht es, technisch gesehen, darum, wie eine innere Spannung
entsteht, wie dieses neue „Objekt“, genannt Bild, Malerei, ein Eigenleben
entfalten kann.
Eine flüchtige Einteilung, wie sie sich dem Betrachter vielleicht auf den
ersten Blick aufdrängen könnte, nämlich mit Hilfe des Gegensatzes abstrakt/konkret
(oder realistisch), würde die Intentionen des Künstlers, aber auch die Aussage
der Bilder verfehlen.
Mir scheint ein anderes wichtig. Nicht der Grad einer wie immer gesehenen
Abstraktion ist entscheidend, sondern der allen Werken gemeinsame
Ausgangspunkt, die allen Bildern zugrunde liegende Welterfahrung. Wir
begegnen den Landschaften, die alle Sinne in sich hinein gesogen haben, aber
auch mittelbaren Vorstellungen (im Sinne von Bildern) sowie den Nachtseiten mit
(Alp-)Träumen. Die Fotografie muss hier versagen, handelt es sich doch um
Schöpfungen, die Abbildung höchstens im Sinne von Verdichtung sind, immer in
der Sprache der malerischen Formen, auf das Wesentliche, die Essenz zielen.
In vielen Bildern steht das Problem der Figur im Mittelpunkt. Die Figur,
womit Einzelfigur und Gruppe gemeint sind, ist letztlich eine Chiffre des
Mensch-Seins. Von daher wird die Herausforderung der Figurengruppe
verständlich, denn die zwischenmenschlichen Beziehungen – in einer Fülle von
Schattierungen – bestimmen den Ort des Einzelnen im weiten Feld zwischen
Menschlichkeit und Barbarei.
Ist nicht auch in der Philosophie dem Selbstbewusstsein und Optimismus von
Aufklärung und Positivismus die heutige Haltung gewichen, in der alle Werte,
also auch Mensch und Welt, in Frage gestellt werden? Diese Brüchigkeit der
Strukturen, eine solche Geworfenheit auf die ‚condition humaine‘, ist sie nicht
ein Merkmal von Theater und Literatur der Nachkriegszeit? Zugegeben, einigen
dieser Figurenbilder eignet eine erstaunliche Nähe zum Theater, ist doch die
Geste häufig ‚barock‘ im Duktus. Viele Ängste unserer Zeit werden hier laut –
vielmehr vernehmbar –, doch sicher nicht laut in dem Sinne, dass der Schrecken,
der Ekel oder Ur-Ängste ihr Gegenüber, die Welt, den Betrachter anschreien oder
anklagen.
Die Herausforderung besteht im Gegenteil darin, dass sich der Betrachter
dieser Gestik des Schreckens – die praktisch nie eine Ästhetik des schönen
Scheins sein will – selber stellen muss.
Das Wort, die Erläuterung zu einem Kunstwerk kann nie mehr sein als eine
schwache Stütze, um dem Betrachter den Weg zum Bild zu weisen, denn dessen Sinn
ist ausschließlich in Farbe und Form, d.h. in der Gestaltung ‚enthalten‘.
|
|
(Auszüge aus Bildkatalog 1986) | |
zurück zur Startseite |